Weiter unten: Abgang eines Hoffnungsträgers ——CSR & Co.
sowie ein älterer Essay über "Stakeholder".
Mustererklärung zu CSR
I.
Als gewinnorientiertes Unternehmen in einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung erkennen wir unsere Pflicht an, Steuern an die demokratisch bestimmten Regierungen in den Ländern abzuführen, in denen wir produktiv tätig sind. Das heißt unter anderem: Die Steuern sind dort zu zahlen, wo der Mehrwert tatsächlich erzeugt wird. Bis auf die Wahrnehmung von steuerlichen Vorteilen, die vom Staat ausdrücklich angeboten werden, pflegen wir keine Steuervermeidungsstrategien. Um sicherzustellen, dass dieser Grundsatz gebührend beachtet wird, werden unsere Managertantiemen nach der Höhe der abgeführten Steuern berechnet. Steuern stellen nicht einen Kostenpunkt unter anderen dar: Die Erwirtschaftung steuerpflichtiger Überschüsse gehört vielmehr zum gesellschaftlich gewollten Auftrag einer gewinnorientierten Unternehmung.
II.
Wir betreiben keine Auslagerung unserer Kosten an unsere Stakeholder beziehungsweise zum Nachteil der Gesellschaft insgesamt. Das heißt, wir sehen davon ab, Einsparungen zulasten unserer Lieferanten, Kunden oder anderer Betroffener zu tätigen, es sei denn, dass eine Übertragung der Lasten sich auch aus gesamtgesellschaftlicher Sicht anbietet oder sonst einvernehmlich rechtfertigen lässt.
III.
Therefore, as a matter of principle, we pay our way: Prinzipiell bezahlen wir die Dienstleistungen, die wir anfordern und annehmen. Insbesondere wird beim Einkaufsprozess darauf geachtet, dass die Erstellung von Angeboten und Kostenschätzungen, die wir von potentiellen Lieferanten verlangen, von uns unbürokratisch und vollumfänglich bezahlt werden. Wir nutzen die Leistungsbereitschaft oder mangelndes Verhandlungsgeschick von schlechtgestellten Arbeitssuchenden (zum Beispiel Praktikanten, Freiberuflern) nicht aus.
IV.
Ethisch bedenkliche Aufgaben werden nicht zur Tarnung an Agenturen vergeben. Wir bestehen vielmehr darauf, dass unsere Agenten und Lieferanten ähnlich hohe Standards einhalten, wie hier dargelegt.
V.
Wenn wir durch eigenes Versagen etwa einen Lieferanten oder Kunden veranlassen, eine Beschwerde oder Reklamation einzulegen, so erstatten wir nicht nur den betreffenden Geldwert: Wir leisten auch eine Entschädigung für Zeitverlust und sonstige Unannehmlichkeiten. Diese Wiedergutmachung kann in der Form einer Spende für einen von der anderen Partei zu benennenden gemeinnützigen (kulturellen, karitativen) Zweck geschehen.
VI.
Wenn wir zur Einreichung von Meinungen oder Anregungen einladen, so überprüfen wir die Meldungen mit gebührender Achtung. Wenn schon ein Kunde sich die Zeit nimmt, auf unsere Veranlassung hin Stellung zu beziehen, so fertigen wir seine Eingabe nicht leichtfertig (etwa mit einem Formschreiben) ab, sondern wir antworten persönlich und sachbezogen.
VII.
Insbesondere gehen wir nicht davon aus, eigentlich doch alles besser zu wissen: dies vor dem allseits bekannten Hintergrund, dass die Arroganz im Geschäftsleben ungeachtet anders lautender Schutzund Schleierbehauptungen überhand nimmt. Wir stellen unsere leitenden Angestellten, deren Urteilskraft beziehungsweise Charakter diesbezüglich zu wünschen übrig lässt, zur Rede.
VIII.
Wir erlegen unseren Geschäftspartnern (Lieferanten, Arbeitnehmern) keine unnötigen oder belastenden Vertraulichkeitsanforderungen auf. Ist eine Geheimhaltung tatsächlich angebracht oder erforderlich, so wird diese zeitlich begrenzt. Die Geheimhaltungspflicht erlischt spätestens, wenn die betreffenden Umstände ohnehin öffentlich bekannt werden.
IX.
Unsere Verträge sind in einer klaren Sprache formuliert. Insbesondere verlangen wir von Anwälten, die in unserem Namen verpflichtet werden, dass sie missverständliche und schwer nachvollziehbare Formulierungen konsequent vermeiden. Diese Grundsätze gelten ebenfalls für die Wirtschaftsprüfer, Berater und sonstige Sachverständige, die wir engagieren.
X.
Angesichts der verbreiteten Unzulänglichkeit der zivilrechtlichen Verfahren drohen wir Rechtsmittel nur an, wenn der Versuch eines einvernehmlichen Vergleiches gescheitert ist. Jede irreführende, übertriebene oder schlicht falsche Darstellung einer Rechtslage wird geächtet. Die Einhaltung dieses Prinzips wird auch eventuell eingeschalteten Inkassounternehmen abverlangt.
XI.
Wo sich eine Gelegenheit ergibt, aufgrund unserer Infrastruktur und Kenntnisse einen besonderen Beitrag zugunsten des gesellschaftlichen Umfeldes leisten zu können, ohne die Interessen der Aktionäre oder anderer Stakeholder, beziehungsweise ohne unseren Wirtschaftsbetrieb merklich zu beeinträchtigen, setzen wir unser Personal und andere Mittel (Logistik, Technik, Materialien) gerne entsprechend ein. Wir betrachten ein derartiges Engagement, das ausdrücklich nicht als PR-Aktion konzipiert ist, als selbstverständlich. Es handelt sich mitunter um die alternative Beschäftigung und Weiterentwicklung unseres Personals im Sinne der weiteren gemeinschaftlichen Belange, ohne aber die gewünschte und verfassungsgemäße Trennung von unternehmerischen, staatlichen und privaten Sphären in Frage stellen zu wollen. Der Sinn der CSR darf nicht darin bestehen, stillschweigend dem Staat oder den Bürgern finanzielle Mittel zu entziehen, mit denen diese die ihnen obliegenden gemeinschaftlichen Aufgaben sonst erfüllen könnten.
Anmerkung des Autors: Dieser war Mitglied eines Ausschusses, der vom damaligen Ministerium für Soziales mit der Beratung der Bundesregierung in Sachen CSR beauftragt wurde.
Abgang eines Hoffnungsträgers ——— CSR & Co.
In den achtziger Jahren kamen nachdenkliche Manager und Hochschulleute in verschiedenen Industrieländern zusammen, um über die Rolle der Ethik in den Wirtschaftsunternehmen zu diskutieren und entsprechende Impulse zu geben. Es ging einerseits um das Geschehen in den einzelnen Firmen, anderer seits um den Wunsch, einen Ausweg aus den allgegenwärtigen politischen Sackgassen zu suchen. In diesem Zusammenhang meinten einige nicht zuletzt, das Wirken und die Macht der Wirtschaft ließen sich einspannen, um die Defizite der Politik auszugleichen. So wurden in den USA die Society for Business Ethics (SBE) und im damaligen Westeuropa das European Business Ethics Network (EBEN) gegründet. Im Jahre 1993 wurde in Bad Homburg das „Deutsches Netzwerk für Wirtschaftsethik e.V.“ als Pendant zu letzterem (auch unter Mitwirkung des Autors) ins Leben gerufen. Die Beteiligten haben sich wohl Verschiedenes gedacht beziehungsweise haben die wenigsten ein klares oder solides Konzept gehabt, wo das genau hingehen sollte. Das Spektrum der möglichen Themen war sehr groß. Es wurden in den nachfolgenden Jahren reichlich Tagungen veranstaltet und „Fachliteratur“ veröffentlicht. An einigen Ecken wurden in einzelnen Branchen und Unternehmen bescheidene Fortschritte erzielt.
Ende der neunziger Jahre trat vermehrt der Begriff corporate social responsibility (CSR) in den Diskussionen und Bemühungen um Wirtschafts und Unternehmensethik auf, so sehr, dass die Wiedergabe von dieser anfangs handfesten Idee und verwandten Konzepten inzwischen zur politischen Korrektheit gehört. Entsprechend hat sich in der Praxis der Begriff von seinem ursprünglichen Sinn immer weiter entfernt, und er wurde bei jeder Neuauflage weniger präzise. Als Mädchen für Alles wird CSR schon lange als Mittel der Öffentlichkeitsarbeit missbraucht. Zuweilen bedeutet sie kaum mehr als Philanthropie — also die Bereitstellung von Spenden für gute Zwecke. Es kann sogar vorkommen, dass mehr für die Hochglanzbroschüren ausgegeben wird als für die Sache, die sie ausloben. Die Führungskräfte und ihre ange heuerten Unternehmensberater verschließen gerne die Augen davor, dass es sich bei der CSR um eine umfassende Sorge um verantwortungsbewusste Unternehmensgestaltung handeln sollte. So fixieren sie sich blindlings auf diejenigen Aspekte, mit denen sie am besten zurechtkommen. Andere Bereiche werden ausgegrenzt. So wollen sich SupermarktKonzerne um ihre Einkaufspolitik in Übersee gekümmert haben und somit als „ethisch“ gelten, manipulieren aber die Endkunden durch irreführende Preisgestaltung, um Marktmechanismen zu unterwandern; oder aber drücken sie den Lieferanten die Preise so sehr, dass Kleinbetrieben das Aus droht.
Dies kennt man nicht nur bei den Wirtschaftsunternehmen. Das Phänomen kommt auch bei karitativen, kirchlichen und anderen gemeinnützigen Organisationen vor, zum Beispiel, wenn diese ihre Mitarbeiter ausnutzen. Daher ist Skepsis überhaupt bei Unternehmungen geboten, die sich als „sozial“ oder „not for profit“ bezeichnen.
Eine Idee kommt nicht allein, es gesellen sich immer weitere hinzu. Zur CSR gehört auch der Begriff der Stakeholder — also Betroffene, die einen Anspruch auf Berücksichtigung haben oder erheben. So sollte, als in den USA der Begriff der Stake holder in diesem Zusammenhang aufkam, die Managerelite auf einmal nicht mehr allein die Interessen der Aktionäre vertreten, sondern auch diejenigen der Arbeitnehmer; (bekanntlich war dies in der Bundesrepublik aber schon von Beginn an durch die Mitbestimmung gesetzlich geregelt).
Dazu sollten die Belange der Lieferanten (nicht aber der freien Mitarbeiter) und — im Falle einer Fabrik etwa — die der Bewohner vor Ort zur Sprache kommen. Über die Orts ansässigen hinaus wurde daran gedacht, die globale Lieferkette mit einzubinden. Es ging weiter mit der Einbeziehung in die Überlegungen von der Interessenslage der Kunden und Konsumenten; (die Begriffe sind nicht deckungsgleich). Dann geschieht aber eine merkwürdige Wandlung. Auf einmal sollten auch die Interessen der Medien — beziehungsweise der Medienpartner — berücksichtigt werden. Diese sind also nicht mehr als ehrliche, außenstehende Berichterstatter aufzufassen, sondern als wirtschaftlich Betroffene; (man frage nach dem Leiden der Medien, wenn sie außer Acht gelassen werden!).
So verkommt eine patente Idee. Es fummeln immer welche mit — die Belege dafür sind zu zahlreich und mühsam, um sie hier noch leserfreundlich zu bringen, und der Tatbestand dürfte vielen Beobachtern aus eigener Erfahrung bekannt sein — es fummeln also immer wieder Menschen mit, die sich um die Sache eigentlich nicht gekümmert haben und nicht kümmern wollen, dafür zielgerichtet auf etwas Anderes hinaus wollen, sei dies die eigene Profilierung, sei es im Auftrag einer sonst verhunzten Sache. (So hat sich gezeigt, dass deutsche Pro fessoren nicht davor zurückschrecken, Zensur, Abstimmungs verfälschung und Ausgrenzung zu betreiben, wenn das gerade ins Programm passt und sie sonst nicht wissen, wie sie ihren Ablassverkauf auch gegen Kritik voranbringen können. Der Hochschulbetrieb ist eben nicht weniger für Korruption anfällig als die sogenannte Wirtschaft.)
Es ist wenig anders mit dem neuesten Schlagwort, mit der „Nachhaltigkeit“. Nichts gegen Nachhaltigkeit. Ein Grundbegriff der Wirtschaftstheorie war schon im 19. Jahrhundert die „Reproduktion“, die vergegenwärtigt hat, dass es bei der Wirtschaft nicht allein um „Produktion“ geht. Die Voraus setzungen für die Produktion und somit das Leben (oder umgekehrt) müssen ständig erneuert werden, und dazu gehört nicht nur die Pflege der konkreten Infrastruktur (zum Beispiel Verkehrswege), sondern auch der Schutz der Biosphäre, die Heranbildung einer neuen und tüchtigen Generation und die Weitergabe von kulturellen und politischen Errungenschaften. Aber ob dies es immer ist, das die Wortsprecher der „Nachhal? tigkeit“ beziehungsweise der „Sustainability“ ausloben, mag bezweifelt werden.
Der Abgang eines Hoffnungsträgers — CSR & Co.
> PDF, leserfreundlich formatiert für E-Reader, Kindle, usw.
Unten steht ein längerer Text aus den Jahre 2008, der der Beratungsfirma Ernst & Young auf deren zweifachen (!) Aufforderung zugeschickt wurde. E&Y hat nie darauf geantwortet. Inhaltlich geht es um den Begriff "Stakeholder" bzw. "Stakeholder Capitalism" und eventuell damit verbundenen Pflichten oder Aufgaben. Der entgegen gesetzte Begriff ist "Shareholder Capitalism".
* Das Wort "Stakeholder Capitalism" wurde inzwischen von dem WEF (World Economic Forum) und seinen Allierten in Besitz genommen und mit einer erweiteten (totalitären) Bedeutung versehen.
* Bei der Zusammensetzung des Buches "Klasse Verantwortung" wurde dieser Text übersehen.
Es ist ein großer Unterschied, ob ein Unternehmen sich darum bemüht, seiner Geschäftstätigkeit mit Umsicht und Rücksicht auf alle Beteiligten ("Stakeholder": Stammkunden, Lieferanten, Belegschaft, Anwohner) nachzugehen oder ob es sich mit sozialen oder anderen Aufgaben befasst, die nicht zu seinem Kerngeschäft gehören.
Mir und anderen (als Konsumenten) läuft kaum ein Unternehmen über den Weg, das bei seinen Produkten, dem Service oder sonst bei seinem Auftritt nicht gravierende Unzulänglichkeiten an den Tag legt: Da würde es uns vollkommen reichen, wenn die Unternehmen ausschließlich ihrem Kerngeschäft richtig und rücksichtsvoll, gesetzes- und vertragstreu nachgehen würden. Damit wäre viel erreicht, und mehr verlangen die meisten Bürger von den Firmen eigentlich nicht.
Es ist in einer wohl geordneten Gesellschaft (die wir freilich noch lange nicht haben) im übrigen nicht vertretbar, das Geld der Konsumenten, der Angestellten oder der Aktionäre ohne deren Möglichkeit, effektiv zuzustimmen oder eine Zustimmung zu verweigern, für willkürlich bevorzugte Fremdprojekte zu verwenden. Diese Mittel stehen den Konsumenten, den Angestellten und den — einzelnen — Aktionären zu, die dann das freigewordene Geld nach ihrer Wahl auch für soziale und kulturelle Zwecke entsprechend einsetzen können.
Dies vorausgeschickt gibt es durchaus Situationen in denen ein Unternehmen sich ein wenig über sein Kerngeschäft hinaus gelegentlich sehr sinnvoll einsetzen kann. Zum Beispiel (gerade jetzt) bei fehlender Nachfrage kann man Ressourcen, die ohnehin vorhanden sind und sonst ungenutzt blieben, für soziale Projekte einsetzen. Etwa Sachmittel spendieren und Personal (einschließlich Managementpersonal) abberufen, um einen Kinderspielplatz einzurichten. Das ist eine Möglichkeit, die sich immer dann anbietet, wenn die örtlichen politischen Instanzen ihren Verpflichtungen nicht nachkommen und die Bürger zu schwach organisiert und ausgestattet sind, eine derartige Aufgabe selber in die Hand zu nehmen. In einer gut geordneten Gesellschaft allerdings müssten die politischen Instanzen vor Ort bzw. die Bürger selber eher in der Lage sein, diese Aufgaben wahrzunehmen. Insoweit müsste das Engagement des Unternehmens einer gelegentlichen Nothilfe — einer Ausnahme — gleichkommen und nicht programmatisch sein.
Der große Vorteil für das Unternehmen könnte in diesem Fall in der Beibehaltung und Weiterbildung der Mitarbeiter liegen.
Wohin gehört nun hier CSR? Brauchen wir das Wort oder laufen wir nicht mit der Floskel CSR eher Gefahr, wichtige Unterscheidungen zu verwischen? Kommt die beste Nahrung zustande, indem man alles in einen Topf wirft, oder schmeckt es nicht besser (ist es nicht schonender), wenn die Zutaten auseinander gehalten werden?
Wenn CSR das programmatische (anstatt bloß gelegentliche) Engagement der Unternehmen außerhalb ihrer Kernkompetenzen bedeuten soll, so bin ich eher dagegen. Unsere gesellschaftliche Ordnung und die damit verbundene Funktionstrennung sehen nicht vor, dass die private Wirtschaft die Aufgaben des Staates und der Zivilgesellschaft übernimmt. Wenn wir in diese Richtung gehen, ist längerfristig mit Gefahren bezüglich der Machtverteilung in der Gesellschaft zu rechnen. Wenn die private Wirtschaft (immer) mehr Ressourcen für sich in Anspruch nimmt, um diese gut gemeinten Aktivitäten umzusetzen, so sind weniger Mittel für die Bürger und den Staat vorhanden. Dies ist der Fall, ob es sich nun bei den Ressourcen um Geld, Sachmittel oder Arbeitsstunden des Personals handelt.
Wenn die wöchentliche Arbeitszeit (oder auch die Jahresarbeitszeit) nicht so übertrieben lang wäre — und das auch noch teilweise bei hoher Arbeitsintensität (aufgrund der geforderten "Produktivität") — , so verfügten die arbeitenden Bürger über mehr Zeit und Energie, sich zu engagieren. Ob sie dies auch tun (oder tun würden), hängt freilich vom Umfeld, von den gegebenen rechtspolitischen Strukturen und von der gesellschaftlichen Kultur ab.
Um diesen Standpunkt zu unterstreichen, weise ich noch einmal auf die verbreitete Wahrnehmung hin, dass viele Firmen (insbesondere Konzerne) ihren ureigenen Aufgaben nur unzulänglich nachkommen: die Produkte, die Dienstleistungen, der Umgang mit Lieferanten, die Vermarktung ließen sich in den meisten Fällen noch immer oder auch jetzt erst recht (erstaunlicherweise) bedeutend verbessern. Und dies, obwohl ständig von Qualität in allen Richtungen ("kontinuierliche Optimierungsprozesse" und dergleichen) geschwätzt wird. Ich habe durchaus den Eindruck, dass nach jeder Schulung kräftig gefeiert wird, damit das Gelernte auch gleich vergessen wird.
So stellen ich und meine Kollegen als Lieferanten fest, dass die Unternehmen kein Gedächtnis haben. Das Personal wird ausgewechselt oder versetzt, und die Einkaufsprozesse fangen wieder von null an mit rundum negativen Auswirkungen. Andererseits ist die Vermarktung an die Konsumenten und andere Endnutzer öfters so widerlich oder auch beleidigend, dass man am liebsten gar nichts mehr einkaufen würde. Immer wieder fehlen den neuen Produkten die Vorteile der alten.
An diesen Stellen sollten die Unternehmen bei ihren Bemühungen um Verantwortung eher ansetzen.
Natürlich ist das gerade für die hochstrebenden Manager weniger aufregend als sich mit neuen Floskeln und Abenteuern zu schmücken. Und damit kommen wir zu einem weiteren Thema: Sind die Menschen, die es verstehen, die derzeitigen Hierarchien erfolgreich zu erklimmen, auch charakterlich geeignet, wichtige Entscheidungen zu fällen und neue Richtungen für die Stakeholder zu setzen? Haben sie die Sachen wirklich durchdacht oder passen sie sich nicht eher unkritisch der Mode (und dem vermeintlichen Konkurrenzzwang) an? Kann es sein, dass viele sehr talentierte, auf Integrität bedachte junge Leute sich eben gegen diesen Karriereweg entscheiden? Um zum Beispiel ein ausgeglichenes Leben mit Familie und Freunden jetzt und nicht erst in ferner Zukunft führen zu können? Um zum Beispiel sich nicht übermäßig kompromittieren zu müssen? Auch, um sich nicht durch ein einseitiges Werteumfeld (die Besessenheit von Besitz, Konsum und Reisen) verführen zu lassen?
Die Ausartungen der letzten Zeit führen zu der Erkenntnis, dass es noch lange nicht reicht, Verhaltensregeln aufzustellen; vermutlich nicht einmal auf das Einhalten dieser Verhaltensregel zu achten; sondern wir brauchen in exponierten Stellungen auch Menschen, die gegen die Gefahren der Habgier und der Überheblichkeit einigermaßen gefeit sind.
Ein Wort zur unsichtbaren Hand: Adam Smith hat uns wunderbar vorgeführt, dass wir für die gute wirtschaftliche Ordnung nicht auf den Altruismus der Gewerbetreibenden angewiesen sind, sondern uns auf bestimmte Mechanismen des Marktes verlassen können, das Eigeninteresse der wirtschaftlichen Akteure zugunsten der Allgemeinheit zu lenken. Diese Einsicht ist, so will es mir scheinen, in den letzten Jahrzehnten so ausgelegt worden, als ob jeder ausartende Egoismus und jede Raffgier nicht nur für die Gesellschaft harmlos wäre, sondern ihr regelrecht zugute kommen würde.
Bei der Ausgestaltung eines einigermaßen soliden Kontrollsystems brauchen wir viele Sicherheitsvorrichtungen. Ein Verhaltenskodex reicht allein nicht aus, und Schulungen auch nicht. Guter Charakter selbst kann unter Umständen simuliert werden. Die scharfsinnige Urteilskraft bedarf selber immer wieder Korrekturen von außen.
Eines dürfte inzwischen unbestreitbar sein: auf einen einzigen Mechanismus — nämlich denjenigen des Marktes — dürfen wir uns nicht verlassen. Dieser ist erstaunlich robust, aber kein Mechanismus ist vor jeglichem Verschleiß gefeit: alle Systeme nutzen sich mit der Zeit und dem Wechsel der Generationen ab. Die Schwachstellen werden nach und nach identifiziert, ausgenutzt, ausgehöhlt und bringen somit das Ganze in Verruf. Nicht jede Erneuerung ist sinnvoll, aber manche Neuerung, Veränderung, Feinabstimmung ist immer vonnöten. Das schließt auch manche Systemveränderung (z.B. bei der steuerlichen Gesetzgebung) ein.
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