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Professionalität — eine Klasse für sich?
Inzwischen ist das Wort Professionalität in aller Munde, als ob dies reichen würde. So ist man schon eingelullt sobald feststeht, es würden sich Professionelle um eine Sache kümmern.
Was für Tiere sind das aber? Vielleicht sind es Techniker, die sich bei einer Sache auskennen. Oder Menschen, die Sach- verstand beisteuern. Geschäftstüchtige, die wissen, wie man mit den Leuten umzuspringen hat. Medienberater, die eine Botschaft ankommen lassen. Oder Sachbearbeiter, die die Tücken der Formulare meistern.
Wie wäre es aber, wenn der Professionelle ein ausgereifter Vollmensch wäre, der sich an erster Stelle nicht mit den Abläufen, nicht mit der vorteilhaften Abzweigung von Geldflüssen, nicht mit der Anpassung an Normen oder Vorgesetzte, nicht mit Manipulation, nicht mit der Selbstdarstellung, nicht mit der Bevormundung nach unten und der Anbiederung nach oben befassen würde, sondern sich einer Sache gewidmet hat, sei es die Gesundheit beim Mediziner, des Rechts im Falle des Anwalts, oder der menschenfreundlichen und ästhetischen Gestaltung der Räume und Gebäude beim Architekten? Vielleicht dürfte man an einen Softwareingenieur denken, der sich beim Programmieren zurückhält, damit der Nutzer selber bestimmen kann, was er braucht und was lieber nicht. An einen Pädagogen, der den Schülern nicht alles auf einer Platte offeriert, um die Prüfung bestehen zu können, sondern sie zum eigenständigen Denken erzieht. An einen Arzt, der auf die Tücken und möglichen Folgen des Tests hinweist. An den Finanzberater, der vor dem Einstieg im ungünstigen Moment warnt. An den Versicherungsfachmann, der gerade diese Versicherung für überflüssig oder überteuert erachtet. An den Buchhalter oder Wirtschaftsprüfer, die der Steuervermeidung und dem Gesell- schafterbetrug nicht zuarbeiten. An den Journalisten, der auf die Geschichte verzichtet. An eine Krankenschwester, die Empathie und Wärme aufbringt, den Abläufen und dringender Dokumentation trotzend. An den Therapeuten, der nicht abratend im Wege steht, wenn der Patient einen Freund gefunden — gewonnen — hat. Der weiß, dass er es nicht besser weiß und dies auch sagt, anstatt ohne eigentliche Teilnahme zuzuhören. An die Prostituierte, die den Freier wegschickt, damit er einen anderen Weg zu seinem Glück findet.
Man könnte zudem beim Wort professionell an den Geschäftsmann denken, der weiß, dass Geschäft & Gewinn & Umsatz zwar wichtig aber nicht alles sind. Der seine Kosten und Risiken nicht verdeckt auf Ahnungslose und Verhandlungs- schwache auslagern will, sondern das Gesamtbild im Auge behält. An den Manager, der die Arbeit und das Leben der Anderen nur geringfügig und insoweit organisieren will, als diese Fremdbestimmung auch ihnen und der Gesellschaft insgesamt zugute kommt. Der sich eher als Partner denn als Vorgesetzter aufführt. An den Unternehmensberater, der feststellt, es stehe alles zum Besten, Änderungen braucht man nicht zu machen, er komme erst in ein paar Jahren wieder. An den Geschäftsführer einer GmbH, der sich nicht aus der Haftung entlässt, wenn die Pleite alleine an ihm lag. An den Bankier, der auf sein persönliches Großvermögen verzichtet, wenn die Anderen seinetwegen ihr kleines verlieren.
Wie wäre es, wenn dieser Begriff von Professionalität die Runde machen würde? Wenn dafür, dass er in aller Regel über kurz oder lang mit einem gutbürgerlichen Leben belohnt wird, der Professionelle dafür gerade stehen würde, dass die Dinge nicht aus den Bahnen geraten? Wenn zur Mitgliedschaft in einer privilegierten Klasse es gehören würde, bei grobem Versagen hinausgeschmissen zu werden?
Wie wäre es, wenn der Hinausschmiss nicht etwa von Beamten oder Richtern oder Direktoren oder Politikern oder gar Berufskollegen zu beschließen wäre, sondern von einer kleinen Auswahl — mit Zufallselement — von Menschen, die sich im Leben mit täglicher und intelligenter Arbeit oder sonstigem Engagement über ein paar Jahrzehnte hinweg bewährt haben: so von einem Handwerksmeister, einer Studienrätin, einem Krankenpfleger, der Betreiberin eines Eckladens, einem Buch- halter und einer Buchhändlerin, oder ähnlichen.
Es wäre so: Wir hätten nach und nach eine Demokratie der Verantwortungsträger. Es würde nicht mehr nur das Geld das Sagen haben, das bei weitem nicht immer dorthin fließt, wo die Leistungen erbracht werden, sondern immer wieder widerlich von halbklugen Manipulierern des Systems legal oder illegal abgezweigt wird.
Wir hätten volksnahe Mechanismen, um der Missbildung der Hierarchien entgegenzuwirken. Wir hätten eine Klasse von engagierten Menschen, die als Professionelle diesem Wort Ehre machen. So wäre es.
Aufwertung der Unternehmerklasse
I. Charakterliche Beschaffenheit der Unternehmer
Handelt es sich bei unseren Führungseliten (den Unternehmern, Managern, Geschäftsführern, Vorständen) um edle Ritter im weißen Gewande, oder doch um Ausbeutertypen? Um Ahnungslose, die den eigenen Träumereien und der Selbst- überschätzung verfallen sind? Oder gleich um alle drei?
Aus praktischen Gesichtspunkten bietet es sich an, zur Analyse eine Arbeitshypothese aufzustellen. Diese muss einigermaßen glaubhaft sein. Eine statistische Begründung ist unmöglich, denn dafür fließen zu viele subjektive Urteile und Unwägbarkeiten mit ein. Wie bei anderen Verallgemeinerungen auch, ist ein Pauschalurteil fehl am Platz. Man müsse sich vielmehr vorstellen, es handle sich um Menschen, die unter- einander wenig Gemeinsames haben, bis darauf, dass sie unter der gleichen Wirtschaftsordnung agieren und einen Hang zu Arbeitssucht, Geltung und materiellem Ehrgeiz haben.
Stellen wir es uns so vor: Ein Drittel der Unternehmer und Führungskräfte umfasst Menschen, die ein anständiges Geschäft auf der Grundlage von Leistung und Gegenleistung erreichen wollen. Es handelt sich also um Menschen, die fachlich das Kompetente tun wollen und können: sprich Dienstleistungen und Produkte nach Stand der Technik liefern, und zwar ohne klammheimlich Kosten oder Defekte an die Allgemeinheit auszulagern. Es handelt sich ebenfalls um Menschen, die eine aufrichtige, wenn auch begrenzte, Verantwortung ihren Arbeitnehmern und anderen Dienstleistern gegenüber erfüllen wollen. Damit ist deren Richtung vorgegeben.
Ein Drittel der Manager — so die Arbeitshypothese weiter — lässt sich eigentlich unüberlegt von den scheinbaren Sach- zwängen treiben. (Überlegungen gibt es natürlich immer: Es kommt aber darauf an, ob die Überlegungen selbst überlegt — sprich überprüft und hinterfragt — wurden.) Es handelt sich also um Mitläufer.
Das ließe ein Drittel über. Was machen wir mit diesen? Wie können wir sie festmachen?
II. Berichterstattung verwehrt
Ein erster Schritt wäre eine Berichtserstattung. Der Rechtsweg, wie dieser derzeit besteht, ist aussichtslos, so sehr ist er unter- wandert von Naiven im Dienste der klugen Gewissenlosen. Außerdem: das Vielerlei der Gesetze hat es an sich, dass Lücken und Fallen sich nicht vermeiden lassen. Die Auslegung ist prekär, die Strafverfolgung sporadisch, die Strafen sind ein Hohn.
Es ist schlimmer. Das Recht selbst steht der Berichterstattung im Wege. Zum einen macht sich das sogenannte Persönlichkeits- recht stark. Zum zweiten spielen Verschwiegenheitsverpflich- tungen mit: Solche Verträge dienen dazu, Rechtsansprüche zu unterbinden. Die verfassungsgemäße Redefreiheit hat da wenig zu sagen. Und doch hat sich in anderen Bereichen bewährt, dass eine Tendenz — eine Gesinnung, eine charakterliche Ausprägung — protokolliert werden kann, sowohl staatlich in Flensburg (Verkehrsdelikte) als auch privat bei der Schufa (Kreditwürdigkeit).
III. Verschwiegenheitserklärungen
Ein erster Schritt in Richtung Transparenz würde darin bestehen, Verschwiegenheitserklärungen die rechtliche Gültigkeit abzu- erkennen, soweit diese nicht beim Staat gegen eine bedeutende Meldegebühr (zum Beispiel zehntausend Euro) hinterlegt sind (von wegen leere Staatskassen!). Ein zweiter Schritt wäre, ein gesetzliches Ablaufdatum vorzusehen. Somit könnten wir später erfahren, was denn alles Auffälliges vor wenigen Jahren gelaufen ist und die Beteiligten darüber ansprechen.
Sonst wäre überhaupt eine Debatte über die Ausbreitung dieser Verpflichtungen zu führen. So stehen industrielle Geheimnisse (über Verfahrenstechniken, chemische Zu- sammensetzung und dergleichen) auf dem einen Blatt, kaufmännische Geheimnisse (Strategien, Manipulationen, Preisgestaltungen) auf einem anderen. Da, wo das öffentliche Interesse es erfordert, müsste die Berichterstattung Vorrang haben, vielleicht mit einer Vorstufe dergestalt, dass ein unab- hängiger Ausschuss von Sachverständigen das Für und Wider einer Offenlegung begutachtet. Es gilt, gegen den Missbrauch vorzugehen. Totale Transparenz würde langfristig andere Gefahren bergen. Hier geht es um Kurskorrektur. Viele Belange ließen sich im Übrigen im Rahmen der berufsspezifischen Kodizes ausreichend berücksichtigen.
Eine Verschwiegenheitsverpflichtung dürfte keine Gültig- keit haben, wenn sie nicht auch einen Passus enthält, der auf den Vorrang des öffentlichen Interesses hinweist, wenn gegen dieses verstossen wird. Das wäre ein zweiter Schritt. Für diesen Vorrang mag zwar juristisch teilweise theoretisch schon gesorgt sein, davon dürften aber die Wenigsten Kenntnis haben. Im Gegenteil: Manche Verschwiegenheitserklärungen bestimmen ausdrücklich möglichst große Zurückhaltung für den Fall, dass staatliche Instanzen Informationen verlangen.
Verschwiegenheitserklärungen haben bei der Aufarbeitung der Ursachen der Finanzkrise im negativen Sinne kräftig mit- gespielt und somit die vollständige Aufklärung verhindert. Aber auch in zahllosen anderen Bereichen wirkt die hochgepriesene Vertraulichkeit den guten Sitten entgegen — nicht zuletzt beim sogenannten Kundenschutz bei Vermittlungsbetrieben aller Couleurs. Die rechtliche Durchsetzbarkeit von vielen solchen, praktisch aufgezwungenen, Vereinbarungen ist anzuzweifeln, der Rechtsweg ist aber ungewiss, teuer und für Nichtjuristen stressig. Eine Bestrafung für Anwälte und Mandanten, die den Rechtsweg als Drohmittel missbrauchen, ist in unserem halben Rechtsstaat nicht vorgesehen.
Man mag bei der Betrachtung der Vertraulichkeit im Übrigen zwischen privat und geheim unterscheiden: so gehört es sich meistens nicht, dass bestimmte interne betriebliche Vorgänge leichtfertig an die große Glocke gehängt werden, ähnlich wie es sich auch nicht gehört, dass medizinische Befunde über eine identifizierbare Person verbreitet werden. Die Privatsphäre sowie auch die innerbetriebliche Sphäre genießen zu Recht eine gewisse — aber nicht unbeschränkte — Diskretion. Anders liegt es bei Kenntnissen, die aus praktischen Gründen geschützt werden müssen. Es ist nicht hier der Ort, diese wesentlichen aber oft verschwiegenen Unterscheidungen weiter zu präzisieren, nur ist daran zu erinnern, dass es sie gibt.
IV. Plädoyer gegen den anderen Rechtsextremismus
Die Unternehmer beklagen sich seit eh & je über über triebene Rechtsbestimmungen, die Arbeitnehmer vor der willkürlichen Entlassung schützen sollen, in der Praxis aber zuweilen dazu führen, dass neue Arbeitnehmer erst gar nicht dauerhaft eingestellt werden. Die Arbeitssuchenden sind natürlich auch nicht alle Engel, und hier ließe sich gedanklich ebenfalls eine Unterteilung in drei unterschiedliche Gruppen vornehmen. Da diese aber im derzeitigen Wirtschaftsklima als Schwachgestellte ohnehin wenig zu sagen haben, würde dies wenig bringen. Außerdem geschieht dies bereits durch die Hintertür der Lebensläufe (wer alles einen Lebenslauf sehen möchte!) und die verschlüsselte Sprache der Arbeitszeugnisse. Wenn hier die Hierarchien hinterfragt werden sollen, so betrifft der Aufklärungsbedarf — das Verlangen nach Transparenz — die unteren Stufen am allerwenigsten.
Die hier gestellte Frage richtet sich danach, inwieweit Regelwerke das geeignete Mittel sind, um Missbrauch und Willkür zu verhindern. Wenn wir von einem vorherrschenden Manager- oder Unternehmerethos ausgehen könnten, das Personalfragen verantwortungsbewusst und tatsächlich mit Augenmaß angehen würde, so wären die Regelwerke überflüssig oder nur noch als Orientierung vonnöten. Aber auch da, wo viel Vertrauen entgegengebracht werden kann, müssen erfahrungs- gemäß auf Dauer außenstehende — also unabhängige — Kontrollen vorhanden sein. Regelwerke sind aber nicht die einzige Lösung, und immer kompliziertere Regelwerke erst recht nicht. Der gute Menschenverstand ist einem Regelwerk meistens überlegen, und es geht vornehmlich darum, wie wir ihn einbinden.
Dazu ist ein Berichtssystem erforderlich, das den guten — oder eher passenden — Charakter der Akteure — also hier von Geschäftsführern oder Unternehmern — zur Überprüfung durch Unabhängige heranzieht. Wird einmal konsequent gegen die schwarzen Schafe vorgegangen, so merken die eher grauen Anzugträger, also das moralische Mittelmaß, woher der Wind weht. Sie geben sich einen Ruck. Anpassungszwang muss nicht immer nach unten zeigen.
Mehr noch: Da das moralische Niveau steigt, so steigt nach und nach eine andersgesinnte Elite ein, die sich bisher aus Anstandsgründen zurückgehalten hat, so sehr lehnte sie die gängige Managementkultur ab. Das sind mitunter die Menschen, die nicht überlange Stunden arbeiten wollen und sich dadurch den Blick frei halten, die Gesellschaft im Ganzen zu berücksichtigen. Es sind ferner Menschen, die wenig Lust haben, mit betrieblichem Kalkül die Arbeitsgestaltung ihrer Mitmenschen bis ins Kleinste zu bestimmen; stattdessen aber diese für verbesserte Arbeitstechniken mit Überzeugungsarbeit gewinnen können. Kurzum handelt es sich um eine Führungs- reserve mit alternativem Stil und Umgang. Eine derartige Verwandlung geht nicht über Nacht vonstatten; der Austausch erfolgt nur langsam in Kleinarbeit. Grundsätzlich gilt: Man kann sich ein wenig besser als der Schnitt in seiner Umgebung geben, viel besser aber nicht, denn dann geht man unter.
Damit wird hier die Behauptung verneint, wir seien auf unsere derzeitigen Führungseliten angewiesen, als ob deren Talente nicht ersetzbar wären; dies gilt, abgesehen von der Frage, inwieweit es sich überhaupt um eine echte Elite handelt. Die Unabhängigen, die gegebenenfalls den guten Charakter und das Urteilsvermögen der Akteure überprüfen sollen, dürfen — können — nicht aus der Rechtsecke kommen. Juristen, ob Anwalt oder Richter, stellen als Gattung selbst in der öffentlichen Wahrnehmung eine ziemlich angeschwärzte Gruppe dar. Sie sind anscheinend von Bildung und Berufs- praxis her zu sehr im Regeldenken verwurzelt, zu sehr Klein- krämer, als dass man es ihnen zutrauen dürfte, unverkrampft am Beurteilungsprozess teilzunehmen. Das lässt sich zudem anhand der vielen merkwürdigen Prozesse und Urteile ver- anschaulichen, die regelmäßig in den Medien bekannt werden, und ließe sich noch eindringlicher vorführen, wenn einmal alles, darunter die Amtsgerichtsverfahren, analysiert wäre, was nicht publiziert wird. Es dürfte sich eine Betrachtung des zivil- rechtlichen Geschehens in kleinen Sachen — eingeschlossen die leichtfertig geschriebenen aber letztlich unbegründeten Drohbriefe von Anwälten — zum traurigen Bild prägnant hinzugesellen. Damit fragt sich ferner, ob an erster Stelle nicht die fragwürdigen Juristen (natürlich gibt es andere!) zur charakterlichen Überprüfung heranzuziehen wären und die beschuldigten Unternehmer erst in zweiter Reihe.
V. Management zur Verantwortung gezogen und erzogen
Wenn nicht von Juristen, wo soll denn die charakterliche Über prüfung herkommen? Von ihresgleichen, die im gleichen Boot sitzen?
Es bietet sich an, für die Überprüfung von Beschwerden über Managementverhalten erfahrene Bürger aus anderen Gefilden einzuladen. Es versteht sich von allein, dass es sich dabei um Menschen handeln muss, die sich in den eigenen Berufen mit Fleiß und Talent über viele Jahre hinweg bewiesen haben; und dass sie in Berufen arbeiten oder gearbeitet haben, die Durchblick, Feingefühl und Fachwissen erfordern. Hinzu dürften sich gern andere Unternehmer gesellen: so zum Beispiel, wenn ein Verkaufsmanager wegen Fehlverhaltens befragt wird, wäre die Sichtweise eines professionellen Einkäufers hörenswert. Es müsse nicht (oder nicht immer) um die großen Fehlentscheidungen gehen. Es können Kleinigkeiten sein, die sich summieren, wenn sie auf eine charakterliche Fehlhaltung hinweisen. Dagegen soll keiner wegen eines Ausrutschers belangt werden: für gelegentliche Fehlurteile gilt das Gebot der Nachsicht.
Die Überprüfung kann zunächst als Lernprozess aufgefasst werden mit — als erstem Ziel — der gegenseitigen Verständigung. Und wenn doch die Fronten sich erhärten, so stünde am Schluss ein Ausschluss.
Denn, wenn Management und Unternehmertun zukünftig im Sinne eines allseits beachteten Berufswegs, einer Berufung sogar, aufgewertet werden sollen, so gehört dazu, dass es entsprechende zivilrechtliche Vereinigungen gibt, die sie als Mitglieder aufnehmen und aufnehmen müssen. Dies wären — und solche bestehen schon — Organisationen, in die (zum Beispiel) ein Personalmanager eintreten kann, um sich auf dem Laufenden zu halten. Nach und nach würde die zivilrechtliche Öffentlichkeit von Firmen verlangen, dass die Zuständigen in den verschiedenen Ressorts als Bedingung ihrer Tätigkeit in den entsprechenden Verband eintreten und dort bleiben. Bei Ausschluss aus allen in Frage kommenden Verbänden hätte ein Manager keinen Verbleib mehr und müsste von seiner Stelle vorübergehend zurücktreten; in schlimmen Fällen gar auf seine Karriere verzichten.
Diese Lösung umgeht den Ruf nach dem Staat und belässt die Handhabung bei der privaten Wirtschaft und bei zivil- rechtlichen Organisationen. Sie verzichtet ebenfalls auf fromm gemeinte Kodizes und Regelwerke, die an der Wirklichkeit vor- beischießen. Vorausgesetzt ist eine betriebsinterne Verfassung, die eine persönliche Zuständigkeit bei jeder unternehmerischen Handlung zuweist. Aktien dürfen gern verwässert werden, die Verantwortung bitte nicht. So sähe eine echte Unternehmensethik aus.
Der Einzug der moralischen Haftung in die Gesellschaften
Es kommt besonders in der Wirtschaft vor, dass man bestimmte Personenkategorien am liebsten abschaffen würde. Dies umzu- setzen wäre extrem, und ganz so wird dieser Standpunkt hier auch nicht vertreten. Und doch wäre dies vielleicht keine so schlimme Korrektur angesichts des Unfugs, den diese Personen anrichten, ohne sie jeweils voll zur Verantwortung ziehen zu können.
Die Rede ist von den fiktiven Personen.
Die Erfindung dieser juristischen Personen, also der Aktiengesellschaften, der Gesellschaften mit beschränkter Haftung und ihrer Abwandlungen, hatte damals — im vorletzten Jahrhundert — viel für sich. So wurde die finanzielle Haftung von gutgläubigen und unvollständig informierten Investoren zu Recht begrenzt.
Inzwischen leiden diese juristischen Personen gelegentlich unter Geldstrafen. Manager, Topmanager oder ähnliche Mit- arbeiter schlagen über die Stränge, und den Missetaten müssten Strafen folgen. Damit aber werden nicht die Schuldigen bestraft, sondern die Anteilsinhaber, die praktisch kaum etwas dafür können.
Das Plädoyer hier lautet: Wenn schon juristische (also fiktive) Personen im Rechtssystem zugelassen werden, damit die finan- zielle Haftung begrenzt wird, so müsste im Umkehrschluss eine entgegenwirkende nicht-finanzielle Haftung bei den Bevoll- mächtigen in den Unternehmen gelten. Die Mitarbeiter der juristischen Personen müssen für ihr Tun & Lassen mit ihrem guten Namen gerade stehen. Das heißt: Jede Handlung (oder Unterlassung) einer juristischen Person muss einem echten Mit- arbeiter zugeordnet werden können. Bei solchen leibhaftigen Personen muss es sich um Menschen mit höherer Stellung und entsprechend höherem Gehalt handeln; Menschen, von denen man verlangen dürfte, dass sie eine Mitgliedschaft in mindestens einer berufsspezifischen (professionellen) Organi- sation nachweisen. Ist dies nicht der Fall, oder nicht mehr der Fall, so müssten sie auf ihre Stelle verzichten.
So könnte es vorkommen, wenn wieder mal im Unternehmen etwas moralisch arg schief (und keine Lappalie) gelaufen ist, oder aber, wenn viele kleinen Missetaten auf Vorsatz und System schließen lassen, dass diese Personen Rechenschaft ablegen müssten und zwar nicht vor einem zivilen Gericht, sondern vor ihrem Berufsverband. Und damit ihr Verhalten von ihresgleichen, die möglicherweise übertrieben nachsichtig wären, nicht besonders mild beurteilt wird, müsste der Berufsverband im entsprechenden Ausschlussausschuss als Korrektur Mitglieder anderer Berufsgruppen enthalten. So passt der eine Berufsverband auf den anderen auf.
Somit würde eine Klasse von professionellen Akteuren entstehen oder sich gestärkt sehen, die sich nicht nach den engsten finanziellen Vorgaben der Vorgesetzten richten, und auch sonst sich nicht einschüchtern ließe, sondern im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung handeln würde.
Zufallsauslese anstatt Quoten
Den Befürwortern einer Frauenquote wird immer entgegengehalten, dass doch nur der jeweils Beste für die Aufgabe angeheuert werden soll, und das kann im Einzelfall auch ein Mann sein. Dieses Argument scheitert an der Annahme, man würde im vornherein den Besten erkennen können. Es gibt ihn gelegentlich, den Besten, ob Frau oder Mann, häufig fragt es sich aber, wie man das vorher wissen soll? Es stellt sich, wenn überhaupt, meist erst im Nachhinein fest. In vielen Situationen, wo eine personelle Entscheidung getroffen werden muss oder soll, sind die Vor- und Nachteile der führenden Kandidaten so sehr ausgewogen, dass die Entscheidung nur aufgrund subjek- tiver Überlegungen und somit eigentlich per Zufall getroffen werden kann. Dann soll man das lieber tatsächlich dem Zufall überlassen. Es sollte feierlich und öffentlich Roulette gespielt werden.
Damit würde man sich der leidigen Debatte um die Frauen- quote (und andere Quoten auch) entledigen. Denn es sind nicht nur die Frauen, die systematisch benachteiligt werden, sondern mitunter Männer, denen die Umgangsart der Männergesellschaft nicht geheuer ist; ganz abgesehen von Angehörigen anderer Gruppen, die sich aus anderen Gründen diskriminiert sehen.
Es sollte diesem Vorschlag nach nie wieder der Vorwurf entstehen dürfen, die erfolgreiche Kandidatin sei nur Quoten- frau. Wenn einmal eine engere Auswahl feststeht — zum Beispiel zwischen vier oder fünf Männern und zwei oder drei oder vier Frauen — so dürfte die Entscheidung nur noch öffentlich per Zufallsgenerator gefällt werden. Das hätte noch den Vorteil, dass der (die) Auserlesene sich bewusst wäre, seine (ihre) Talente seien nicht einmalig und er oder sie sei als Person jeweils durchaus ersetzbar. Angesichts der um sich greifenden Arroganz in allerlei Kreisen eine eindringliche Botschaft.
Pflichtenheft einmal anders: Charaktervoll einkaufen?
Was sollte man alles an Überlegungen beim Einkauf mit einbeziehen und was kann außen vor bleiben? Hat man nur Preis und Qualität zu bedenken, oder sollte man zudem die Hintergründe der Angebote berücksichtigen?
Eigentlich dürfte man in einer durchgängigen sozialen Marktwirtschaft sich um diese Fragen keine Gedanken mehr machen müssen. Wenn man bereits entschieden hat, was denn eingekauft werden soll, so hätten staatliche Ordnung und der von ihr beaufsichtigte Markt dafür gesorgt, dass man sich allein nach dem Verhältnis Preis/Qualität zu richten hat. Dieses Prinzip müsste gleichermaßen für Einkäufer in Unternehmen und für Konsumenten gelten.
Moralische Überlegungen dürften höchstens die Zusammen- setzung des Warenkorbes betreffen, nicht aber die Wahl der Quelle. Einzukaufen nach anderen Kriterien käme sogar einer kleinen Unterwanderung des Marktes gleich, so könnte man jedenfalls argumentieren. Denn man würde damit die weniger effizienten Anbieter bevorzugen und die besseren — oder weniger geldgierigen — bestrafen. Vielleicht würde man dies aus psychologischen Gründen tun, wie wenn man sich von der Imagewerbung blenden lässt, oder als Freundschaftdienst, aus Loyalität, aufgrund einer anderen Verbundenheit, aus Leicht- fertigkeit, aus Misstrauen vor dem neuen Anbieter, oder auch, weil man Ausschau auf ein Gegengeschäft hält.
Man könnte so argumentierten, man muss es aber nicht. Wenn schon die anderen Überlegungen oder Leichtfertigkeiten greifen, dann mitunter, weil sonst der Einkauf befriedigend gleich von einem Computer — einem Algorithmus — getätigt werden könnte. Aber sogar bei einer perfekt gedachten sozialen Marktwirtschaft — und davon sind wir ja Welten entfernt! — spricht einiges dafür, dass Menschenhand lieber im Spiel bleiben soll. Wenn auch das Prinzip gilt, bei gleicher Qualität habe der Preis den Ausschlag, so dürfte es beim Prinzip bleiben und in der Praxis sich gelegentlich anders gestalten. Die Moral erschöpft sich nicht in einem Regelwerk. Der Mensch auch nicht.
Die soziale Marktwirtschaft war wohl schon immer mehr Ideal als Wirklichkeit, und heute, da, wo ihre soziale Kompo- nente sich rasant abschwächt, stellen sich die Gefechte anders dar. Wir können zwar praktisch nicht umhin, die Reichweite unserer Überlegungen einzuschränken. Wir wären jedoch allemal überfordert, wenn wir bei jeglicher Entscheidung noch eine ethisch oder politisch gedachte Dimension mit berück- sichtigen müssten. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir es niemals machen sollten.
Eine Überlegung, die dafür spricht, dass wir es im Einzelfall zumindest nicht alleine auf das Preis-/Leistungs-Verhältnis ankommen lassen sollten, ist die Gefahr, dass das Preisniveau von finanzkräftigen Mitspielern manipuliert wird: Es wird systematisch unterboten, damit kleine Konkurrenten vom Markt verschwinden. Den Gewinn — den großen — holt man sich nachher, wenn der Wettbewerb — auch der qualitative Wettbewerb — weg ist. Wenn dem so ist, dann sollte ein Unter- nehmen zumindest bei seiner Einkaufspraxis darauf bedacht sein, innerhalb eines vernünftigen Rahmens einen fairen Preis zu bezahlen und nicht den niedrigsten.
II. Der Endverbraucher>
Einige Beobachter plädieren für Consumer Social Responsibility, da sie wohl allmählich merken, dass die Corporate Social Responsibility allein nicht richtig greift. Ihnen zufolge sollte man sich bei seinem Einkauf an ethischen Qualitätssiegeln oder dergleichen orientieren und sonst von der unabhängigen Berichterstattung über die Untaten der Anbieter leiten lassen. Man habe sich als mündiger Bürger zu informieren.
Als Konsumenten ertrinken wir aber bereits seit langem in einer Informationsflut. Nein, das stimmt so nicht: Wir ertrinken eher in einer Desinformationsflut. Wir werden mit einer Überfülle von Daten konfrontiert, deren Richtigkeit und Relevanz — deren Einordnung und Bewertung — wir kaum noch kontrol- lieren oder bewältigen können.
Außerdem ist unsere Handhabe als Konsumenten asoziales Verhalten von marktbeherrschenden Unternehmen zu maßregeln gleich null, und sogar bei mittleren Anbietern sehr begrenzt. Nicht nur, weil wir uns uneinig sind und es auf Einzel- aktionen nicht ankommt, sondern auch, weil die Fronten schnell wechseln. Der Bösewicht von gestern ist morgen das Vorbild, er hat sich bis dahin womöglich tatsächlich reformiert; und umgekehrt geschieht es leider auch.
Eine völlig andere Situation ergibt sich im Alltag, wenn der geforderte Preis für eine kleine Dienstleistung zu niedrig liegt. Man braucht nur ein wenig aufmerksam zu sein, um dies zuverlässig feststellen zu können. Zum Teil handelt es sich um kleine Anbieter, die sich aufgrund einer Notsituation, der Selbstausbeutung oder fehlenden Verhandlungsgeschicks nicht durchzusetzen wissen, zum Teil aber um Opfer einer Ausbeutung, bei der man als Kunde mitwirkt. Im ersten Fall bezahle man bitte ein Trinkgeld, im zweiten sehe man lieber davon ab, die Dienstleistung in Anspruch zu nehmen.
II. Die Einkaufsabteilung
Das eigentliche Thema wäre aber die Rücksichtsnahme, die Einkäufer bei Firmen zu beachten hätten. Hier steht zuerst der Wirkungsgrad, gemessen an dem gedanklichen oder informatio- nellen Aufwand, weitaus günstiger da, da das betreffende Volumen unvergleichbar größer ist. Eine Firma und erst recht eine Branche oder staatliche Instanz verfügen bei ihrer Einkaufspraxis über eine Hebel- und Vorbildwirkung, wie diese sonst — bis auf den Ausnahmefall eines totalen Boykotts durch Konsumenten — unvorstellbar ist.
Wir haben es hier selten mit gleich starken Partnern zu tun. In der Vergangenheit kam es durchaus vor, dass kleine Firmen und Selbstständige sich vorübergehend ein starkes Auftreten leisten konnten, als nämlich ihre Fertigkeiten noch Mangel- ware waren. Dies zeigte sich besonders bei engen Terminvor- gaben. Inzwischen ist eine weitverbreitete Unterbeschäftigung zu verzeichnen, und das Argument der schnellen Verfügbarkeit bringt keinen Eilzuschlag mehr. Außerdem ist der Bildungs- stand in den meisten Industrieländern inzwischen so hoch, dass ein Vorsprung an Kenntnissen und Geschicklichkeit wenig bewirkt, und daher werden bereits bescheidene Preise für hohe Leistungen noch gedrückt.
Soviel zu den Machtverhältnissen. Zur Informations- asymmetrie gehört beim Anbieter, dass im Regelfall dieser mehr über seine Leistung (zum Beispiel Qualität) weiß als der Kunde. Er kennt sich eben in seinem Fach besser aus. Andererseits ist der gewerbliche Kunde aufgrund seiner Erfahrungen und der bei ihm eingehenden Angebote meistens über die Preise besser informiert. Eigentlich könnte er diese folglich vorgeben. Es stünde dem Dienstleister dann frei, den Auftrag zum genannten Preis abzulehnen. Somit könnte der Auftraggeber seinen Dienstleister aufgrund dessen Qualität oder Zuverlässigkeit oder im Sinne anderer Kriterien auswählen. (Der skizzierte Sachverhalt trifft in vielen Fällen nicht zu, er dürfte aber am meisten verbreitet sein.)
Es wird überall heute in der Wirtschaft Wert auf Image gelegt, somit könnte dieses ausschlaggebend sein. Und was wäre Image? Dürfte man sich bei der Auswahl teilweise an der Einschätzung des Charakters des Anbieters — oder an dessen Lebensführung — orientieren? Oder ist mit Image etwas anderes gemeint? Der Denkanstoß ist freilich mehrschneidig.
Wenn es öfters so etwas wie einen professionellen Einkauf geben würde — und somit nicht nur den Anschein, professionell einzukaufen — würde man Wert auf die Partnerschaft mit Lieferanten und Dienstleistern legen, und nicht nur auf das Wort Partnerschaft. Dazu gehört Austausch über allerlei, aber auch über die Preisgestaltung. Der richtige Preis — also rundum für beide Partner — für eine einmalige Dienstleistung wird anders entschieden als für eine einzelne Dienstleistung inner- halb einer Serie. Es kommt eine ähnliche Logik zur Anwendung wie bei der Ethik mit Blick auf die einzelnen Handlungen. Hier wie dort kann eine angemessene Wertung erst im Kontext erfolgen.
Bei fast jedem Austausch kommt es zu einem unbezifferten unberechneten subjektiven Restbetrag. Das gilt sogar beim Austausch von Höflichkeiten. Auf ein feines Wort der Aner- kennung für ein Dankeschön muss nicht geantwortet werden, sonst würden wir niemals aufhören. Einer muss immer weniger rücksichtsvoll sein, ein anderer klein beigeben, sogar wenn wir uns auf einer schmalen Brücke begegnen.
Wenn der Preis für die einzelne Dienstleistung nicht transparent und leistungsgerecht nach einem vereinbarten Algorithmus berechnet werden kann — und so ist es immer wieder —, dann darf und sollte man gelegentlich aufrunden, gelegentlich nach unten abrunden (lassen), denn der Aufwand kann eben nicht genau beziffert werden. Erst wenn mehrere Dienstleistungen und Rechnungen gelaufen sind, ergibt sich ein Bild über das eigentliche Preis/Leistungs-Verhältnis. Wenn aber der Blick sich niemals aufs Ganze richtet, weil auch kein Gedächtnis über die vergangenen Transaktionen gepflegt wird, so geht die Partnerschaft nach und nach verloren, die Rest- beträge verfallen und — buchhalterisch — ein Stück Firmenwert (Goodwill) auch.
Nicht zuletzt darf mit Bezug auf die Millionen teils unfrei- willigen „Freiberufler“ darauf hingewiesen werden, dass sich darunter auch „Leistungsträger“ befinden, die ihre eigentliche Leistung woanders erbringen: nämlich dort, wo aufgrund der fehlenden Eigentumsverhältnisse (beziehungsweise deren praktischer Durchsetzbarkeit) die Leistung weitestgehend unbezahlt bleibt. So ist es besonders bei der Schriftstellerei und sonstigen kreativen Berufen, aber auch bei der Mitwirkung an vielen sozialen Aufgaben. Ein Einkäufer könnte zum Beispiel auf die Idee kommen, lieber dem engagierten Mitbürger den Zuschlag zu erteilen, als etwa dem unterbietenden Lebemann.
Wie ließen sich Manager managen? —
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Macht und Gegenmacht
I.
Auch jemand mit gesunden und geschulten Instinkten hat es schwer, sich nach & nach von der Macht einer Führungsposition, von der berufsmäßigen Fixierung auf Geld und der permanenten zeitlichen Einbindung charakterlich nicht beeinträchtigen zu lassen. Wie ist es aber, wenn der Lebensweg zwar für die Fachkenntnisse und den selbstbewussten Umgang gesorgt hat, nicht aber vorher für die moralische Standfestigkeit und feinfühlige, ausgewogene Urteilskraft, die seiner gesellschaftlichen Stellung eigentlich angemessen wären? Wie soll er es erkennen? Wer kann es ihm sagen? Die Menschen, die von ihm abhängig sind? Die Menschen, die nie solche Führungspositionen innehatten, vielleicht aufgrund ihrer Kompromisslosigkeit, und daher kein Gehör bei ihm und seinesgleichen genießen? Oder seinesgleichen, die im selben Boot sitzen und sich gegenseitig die Positionen zugeschanzt haben? Ein Hebel kommt immer von außen. Dieser Hebel kann nicht immer die Kontrolle über die Einhaltung von zunehmend komplizierteren und auslegbaren Normen sein. Die Ethik und somit die charakterliche Eignung lassen sich niemals auf diese zurückführen.
Es liegt auf der Hand, ein Urteil sprechen zu lassen von Menschen, die andere bewährte Lebenswege gegangen sind; von Menschen, die aufgrund ihrer Intelligenz und ihres Fleißes auch seinen Weg hätten gehen können, diesen aber bewusst ausgeschlagen haben, um dafür einem anderen Beruf und vielleicht einer Berufung nachzugehen; von Menschen, die die Lebenserfahrung und die Zeit zum Nachdenken haben, um ausgereifte Urteile bilden zu können. Dazu gehören nur wenige junge Menschen.
Die Gesellschaft besteht nicht nur aus ihren Leitfiguren, sie ist für ihr gelungenes Fortbestehen und Gedeihen über die Generationen hinweg vielmehr von dem stillen Konsens mitgeprägt, der von den vielen ausgeht: besonders aber von den vielen Leistungserbringern, deren Leistung sich nicht in Geld oder mit öffentlichem Profil abbilden lässt. Es gilt, formelle Institutionen und Auswahlprozesse zu entwickeln, damit die Besten — oft die Bescheidenen, Unauffälligen — zu Wort kommen und somit eine Kontrollfunktion ausüben können.
Wie könnten solche formellen Institutionen und Auswahlprozesse aussehen?
II.
Wir haben bereits Bereiche, bei denen Berichte über ein fahrlässiges Verhalten erstellt werden. So macht jeder Autofahrer im Alltag mal einen Fehler, und gelegentlich wird der Fehler registriert, auch wenn er nicht zu einem Unfall führt. Wenn einer viele oder besonders grobe — registrierte — Fehler macht, sammelt er Minuspunkte in einer Datei in Flensburg. Zahlreiche Minuspunkte in einer bestimmten Zeit führen bekanntlich zum Entzug des Führerscheins. Ein ähnliches — dann aber privat geführtes — Verfahren besteht über die Zahlungsmoral in der Form der Berichterstattung bei der Schufa.
In beiden Bereichen geht es vordergründig um registrierte Überschreitungen der Gesetze beziehungsweise Normen. Unterschwellig aber wird eine schlechte Gewohnheit angesprochen, und somit auch der Charakter der Betroffenen, wenn auch nur in einem Teilbereich der Lebensführung. (Das Thema ist hier natürlich nicht, ob es bei den Beispielen immer oder meistens einwandfrei und unbedenklich zugeht, sondern das Prinzip.)
Bei den sogenannten Professions kann im Falle von Beschwerden eine Überprüfung ebenfalls stattfinden. Der Chirurg, der es mit dem Skalpell übertreibt; der Anwalt, der aus Kalkül seinen Mandanten schadet: — im Prinzip kommen sie an den Pranger. Wie es in der Praxis aussieht, steht auf einem anderen Blatt. Die entsprechenden Berufskammern wehren sich gegen die Transparenz und behalten sich gerne vor, die Angelegenheiten langatmig unter sich zu entscheiden. (Der Missbrauch von Schweigepflichten und Klausuren ist in ähnlicher Weise ein Thema für ein anderes Mal, wie auch übrigens die Milde der eher seltenen Strafen.)
Hier wie dort richtet sich das Urteil im Grunde genommen nach der Einhaltung von Regeln beziehungsweise der eingehaltenen Rangordnung der Regeln, und somit wird der Gesamtzusammenhang gern außer Acht gelassen. Das dürfte in vielen Situationen sinnvoll sein. In diesem Plädoyer geht es aber um den Gesamtblick und die charakterliche Eignung von bestimmten Menschen für bestimmte Aufgaben.
Das Plädoyer richtet sich nebenbei auch gegen das historisch verankerte Recht bestimmter Berufsgruppen, Beschwerden unter sich zu regeln. Dringender ist es aber, Einzelmitglieder anderer mächtiger Berufsgruppen — darunter Mitglieder der Manager& Finanzeliten sowie des sogenannten Unternehmertums — zur Verantwortung ziehen zu können.
Hier ist ein Blick auf den Werdegang und die Struktur der verschiedenen Berufsgruppen erforderlich: Ohne eine äußerst formalisierte und strenge Ausbildung mit Betreuung über Jahre hinweg kann niemand Mediziner werden. Unternehmer kann dafür jeder werden, der ein Konzept und Zugang zu Kapital hat. So die Extremfälle.
Im Kern geht es darum, dass der Zugang zu bestimmten Berufsausübungen durch einen formellen Bildungsweg geregelt wird, zu anderen Berufsausübungen allein über den vordergründigen wirtschaftlichen Erfolg. Es gibt natürlich zudem den größeren Zwischenbereich — der braucht uns aber an dieser Stelle nicht aufzuhalten. Der Unternehmer, der inkompetent oder faul ist, scheidet (angeblich) aus, da ihm das Kapital ausgeht.
Das kann unter Umständen allerdings lange dauern. Und bis dahin wird Anderen geschadet. So zum Beipiel den Mitarbeitern (teilweise praktisch in Führungspositionen, aber ohne die entsprechende Bezahlung), die seinen Unfug und Umtrieb zu reparieren versuchen. Nicht etwa aus Liebe oder Verbundenheit, sondern aus Angst vor dem nächsten verlogenen Job-Center oder dem belastenden und kostspieligen Wohnungswechsel. Und bis die Kapitalgeber merken, dass ihr Kapital zwar in der richtigen Branche platziert ist, dafür aber beim falschen Manager, kann es ebenfalls eine Weile dauern. Inzwischen leben andere Betroffene — so die Lieferanten und Kunden — zu ihrem Leidwesen auch nicht in einem transparenten oder wirklich geregelten Markt.
Es liegt auf der Hand, dass der vermeintliche Markt nicht ausreicht: er deckt die Missstände lange zu und bestraft höchstens sporadisch — und das mit vielen unschuldigen Opfern. Der Markt ist in der Tat nur ein Mittel unter anderen. Erst vor der Kulisse eines ordentlichen, anständigen Umgangs miteinander, erst bei einer durchdachten (und durchwachsenen) Wirtschaftsordnung, kann er als Kontrollmechanismus und zu Steuerungszwecken angewendet werden.
Ausgerechnet dafür, dass der „Markt“ zu seiner wahren Geltung kommt und von seiner übermäßigen Wertschätzung und regelmäßigen Manipulierung wegkommt, brauchen wir Hinausschmiss-Regeln für die Unternehmer, damit diese noch rechtzeitig gestoppt werden können. Es handelt sich dabei wohlbemerkt nicht um Wirtschaftsprüfung und dergleichen. Angepeilt werden müssen nicht die Zahlen, sondern die Menschen, die es an menschlichem Gespür fehlen lassen.
Menschlich greift jeder mal daneben, ist unüberlegt, vorschnell, eingebildet, rüde, unachtsam, egoistisch und desgleichen mehr. Bei manchen wird dieses Verhalten aber zur Gewohnheit. Dann ist die Zeit gekommen, sie von solchen Stellungen herunterzuholen, wo sie mit ihrer Menschenverachtung gesellschaftliche Schäden anrichten können. Da muss der Schuldige dann einer einfachen Beschäftigung nachgehen beziehungsweise muss sichergestellt werden, dass die Leidtragenden in seiner Umgebung die Mittel haben, ihn straflos zurechtzuweisen.
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